Die Ringelgans (Branta bernicla) ernährt sich hier überwiegend vom Seegras. Dem entsprechend folgte dem Absterben der Seegraswiesen durch die Labyrinthula-Epidemie in den 1930ern ein Zusammenbruch der Ringelgansbestände. Seitdem hat sich der Bestand wieder erholt, wobei allerdings von Jahr zu Jahr starke Schwankungen festgestellt werden können. Die Ringelgänse im Wattenmeer kommen aus der sibirischen Arktis, während die aus Kanada, Grönland und Spitzbergen nach Skandinavien und zu den Britischen Inseln ziehen.
Die Nonnengans (Branta leucopsis) brütet ebenfalls in der Arktis. Allerdings hat sie ihre Brutgebiete mehr und mehr an die Küsten der Ostsee ausgedehnt, und auch im Wattenmeer bleiben inzwischen immer mehr Nonnengänse, um zu brüten. Ihr englischer Name "Barnacle goose" und der lateinische Name der Ringelgans erinnern an einen mittelalterlichen Aberglauben. Da man nicht wußte, wo diese Gänse brüteten, die jedes Frühjahr über das Meer verschwanden, glaubte man, daß die auf Treibholz sitzenden Entenmuscheln (jaja, der Name!) ihre angehefteten Eier seien. Um die Nonnengans rankt sich eine merkwürdige Namensverwirrung. Irgendwer hat "Weißwangengans" als neuen Namen kreiert, und das liest man nun auch immer wieder mal. Er ist aber unsinnig, da er zu Verwechslungen verleitet. Bei der Nonnengans ist das ganze Gesicht weiß; eher würde der Name auf die Kanadagans (Branta canadensis) passen, die wirklich nur eine weiße Wange hat. Kanadagänse gehören heute auch zum Inventar des Wattenmeeres, denn sie wurden in Schweden als Jagdwild ausgesetzt und haben sich über ganz Nordeuropa ausgebreitet. Inzwischen brüten sie auch bei uns.
Ein echter Vogel der arktischen Tundren ist wieder die Bläßgans (Anser albifrons). Ihre nächsten Brutplätze liegen im nördlichen Uralgebiet und Nowaja Zemlja. Unter mehreren nahe verwandten Arten fällt sie durch einen schwarzen Bauch (auf dem sie gerade sitzt) und der Namen gebenden Stirnblässe auf. Im Wattenmeer grast sie gerne auf den Salzwiesen. Und so ist das Wattenmeer auch nur eine Alternative; sie überwintert genau so gerne auf Wiesensteppen im Südosten Europas.
Bläßgänse und andere arktische Gänse, die einen langen Weg hinter sich haben, treffen im Wattenmeer auf die ihnen verwandte Graugans (Anser anser), die aber alles andere als ein arktischer Vogel ist. Sie ist gerade mal aus dem Binnenland zum Meer gekommen. Wie alle Gänse lange Zeit als beliebte Jagdbeute dezimiert, hat sie sich in den letzten Jahren erfreulich vermehrt, so daß sie vor allem an Seen im östlichen Mitteleuropa wieder brütet und sich auch weiter nach Westen ausbreitet.
Unter den vielen Entenarten, die zur Zugzeit im Wattenmeer auftauchen, seien zwei nordische Arten besonders erwähnt: Die Spießente (Anas acuta, oben links) brütet teilweise im östlichen Mitteleuropa, aber ihre Vorliebe gilt den Waldseen in den Taigawäldern Eurasiens. Sie war früher Hauptbeute in den Vogelkojen, ist heute aber bei weitem nicht mehr so häufig. Stark vermehrt hat sich hingegen die Pfeifente (Anas penelope, oben rechts). Sie weidet gerne wie die Ringelgänse auf den Seegraswiesen. Da das Wattenmeer durch jahrhundertelange Landgewinnung eingeengt ist und nur noch ein Bruchteil der ursprünglichen Fläche vorhanden ist, weichen die meisten Gänse und Enten heutzutage auf die binnendeichs gelegenen Wiesen und Äcker aus. Insbesondere das junge Wintergetreide bietet eine hervorragende Ersatzfutterquelle. Das mögen die Landwirte natürlich nicht hinnehmen. Deshalb ist man an manchen Stellen dazu übergegangen, die Vögel gezielt zu füttern, um weitere Konflikte zu vermeiden - womit man sich leider unweigerlich noch weiter von natürlicheren Zuständen entfernt...
Dann setzten sich bei Ebbe die Eisschollen auf das Watt ab. Bis zur nächsten Flut war die oberste Lage des Bodens angefroren und wurde beim Aufschwimmen der Eisschollen mitgerissen. Mit jedem Tidezyklus wiederholte sich das. Solche Ereignisse konnten ganze Lebensgemeinschaften zerstören und damit die Nahrungsbasis für die Zugvögel. Also ziehen die Gänse und Enten weiter bis in die milderen Gebiete an der Atlantikküste. Viele Watvogelarten ziehen auch bis zur westafrikanischen Küste, wo sich tropische Watten an der Banc d'Anguin, in der Senegalmündung und im Bisagosarchipel finden. Für manche Arten sind auch das nur Zwischenstationen, und es zieht sie weiter bis nach Südafrika oder dem Antarktischen Ozean. Im Frühling kommen sie alle wieder vorbei, um sich im Wattenmeer genügend Fett anzufuttern, um den Weg in die nordischen und arktischen Brutgebiete meistern zu können. Heute, zu Zeiten der globalen Klimaerwärmung, kommen solche Eiswinter kaum noch vor. Man sollte daher erwarten, daß zumindest einige Arten ihr Zugverhalten anpassen und mehr Vögel auch den Winter über hier bleiben.
Kommt der Herbst, kommen die Gänse. Jetzt wird richtig deutlich, wie wichtig das Wattenmeer ist. Als Sammel-, Nähr- und Rastgebiet im so genannten Ostatlantischen Zugweg nimmt das Wattenmeer eine Schlüsselposition zwischen den Brutgebieten, die von den arktischen Inseln Kanadas und bis zur Taymir-Halbinsel Sibiriens reichen, und den irgendwo an der Atlantikküste zwischen Südwesteuropa und Südafrika liegenden Winterquartieren ein. Kaum eine Art verbringt den ganzen Winter hier. Es ist noch nicht lange her, daß das Wattenmeer im Winter zufror oder Treibeis aus der Nordsee eindrang.