Dem entsprechend entstehen ausgedehnte Sandwatten, wie man sie sonst auf den Sandplaten und den Rückseitenwatten der Inseln findet. Schlickgras kann hier weniger gut Fuß fassen (oben). Die Aufhöhung der Salzwiesen erfolgt zwar relativ rasch, da kein Material durch vorgelagerte Inseln abgefangen wird. Gleichzeitig greift aber die Brandung von Sturmfluten die Wiesen mit voller Wucht an, so daß sich Abbrüche, die Sturmflutkanten, ausprägen (links). Ruhiger ist es hingegen in den lang gezogenen Trichtermündungen der großen Flüße, wo auch feineres Material zur Ablagerung kommt.
Aber auch hier können Sturmfluten noch große Schäden anrichten. Gleichzeitig bringen Sturmfluten auch grobes Material wie Muschelschill bis in Bereiche, wo sich sonst Schlick absetzt. Sturmflutkanten gab es hier schon immer, doch haben sich in moderner Zeit die Schäden durch Sturmfluten wegen verschiedener Fahrwasserverbesserungen für die Schifffahrt dramatisch gesteigert. Begradigungen und Flußvertiefungen gehen nun mal einher mit der Beseitung von Hindernissen für hereinbrechende Flutwellen.
Wir kehren jetzt noch einmal zum Meer zurück. Alles, was wir bisher kennengelernt haben, bezieht sich auf Bereiche, in denen eine Kette von Düneninseln den Watten Schutz vor allzu starken Stürmen, Strömungen und Wellenschlag bieten. In der inneren Deutschen Bucht stört der dort höhere Tidenhub die Sandablagerung stärker, so daß offene Watten und nur unsichere, kleinere Inselbildungen vorherrschen. Da ohne den Schutz von Inseln der Seegang ungehindert die Küste erreicht, wird kaum Schlick, sondern vorwiegend gröberes Material abgelagert.
Ausgerechnet diese doch sehr ungemütlichen offenen Watten haben sich die Brandenten (Tadorna tadorna) für die Mauser ausgewählt. Enten und Gänse verlieren ihre Flugfähigkeit für diese Periode, und man sollte meinen, daß sie sturmgeschütztere Gebiete bevorzugen sollten. Nichtsdestotrotz sammeln sich jedes Jahr von Schweden bis Spanien etwa 80% des europäischen Brandentenbestandes in der inneren Deutschen Bucht zwischen Jadebusen und Dithmarschen. Ungeachtet dessen wird dieses so wichtige Gebiet in Anspruch genommen für Seeverkehr, Fischerei, Waffenerprobungen und Tourismus.
Der Lachs (Salmo salar) war einmal so häufig, daß im 19. Jahrhundert die Londoner Dienstmädchen streikten, um nicht jede Woche mehrmals Lachs vorgesetzt zu bekommen...

Seit dieser Zeit wurde er - genau so wie die nahe verwandte Meerforelle (Salmo trutta) - durch Übernutzung, vor allem aber durch Gewässerregulierung und Wasserverschmutzung immer seltener und starb schließlich in der südlichen Nordsee ganz aus. Heute wird mit hohem Aufwand versucht, ihn wieder anzusiedeln, und erste Erfolge zeigen sich.

Aale (Anguilla anguilla) wandern in die umgekehrte Richtung aus den Flüßen ins Meer, und zwar bis in die ferne Sargassosee an der anderen Seite des Atlantiks. Auch er ist hochgradig bedroht. Zum einen werden seine Larven, die Glasaale, im Übermaß gefangen, um nach China exportiert zu werden, zum anderen machen ihm die Turbinen von Kraftwerken zu schaffen. Man schätzt, daß sich jeder dritte Aal, der eine Turbine passiert, tödliche Verletzungen zuzieht. Das sind mehrere hunderttausend Aale jährlich alleine in Deutschland.
Flundern (Platichthys flesus) ziehen ebenfalls ins Meer, wenn auch nur bis in die Nordsee. In den Flüßen halten sie sich an den brackwasserbeeinflußten Mündungstrichter, auch wenn sie bisweilen tief ins Süßwasser vordringen. Ihre Bestände nahmen so weit ab, daß eine einstmals profitable Fischerei zum Erliegen kam. Man könnte die Liste weiter fortsetzen...
Die Wollhandkrabbe (Eriocheir sinensis) lebt ebenfalls in den Flüßen und wandert zum Laichen ins Meer. Sie wurde aus Ostasien eingeschleppt. In Abwesenheit ihrer natürlichen Feinde neigt sie bei uns zu Massenvermehrungen. Ironischerweise ist sie in ihrer chinesischen Heimat, wo sie als Delikatesse gilt, in weiten Gebieten ausgerottet. Nutzung ist eben auch in China die wirksamste Art, einen Bestand dramatisch zu reduzieren. Dem entsprechend sollte man die Wollhandkrabben, die wir ohnehin nicht wieder los werden, auch hier wirtschaftlich nutzen. Wir essen andere Krebse ja auch gerne, oder?
Flußmündungen sind naturgemäß unverzichtbare Durchzuggebiete für Wanderfische, die zum Laichen ins Süßwasser ziehen oder umgekehrt von dort zum Meer. Der gegenwärtige, für Seeverkehr und Industrie optimierte Zustand der Flußmündungen mit ihren durch Deichbau radikal verminderten Auen und von Sperrwerken abgeschnürten Seitengewässern wird dieser essentiellen Funktion in keiner Weise gerecht.
Stören (Accipenser sturio, links) wurde wegen ihres Kaviars intensivst nachgestellt, während ihre Laichplätze im Unterlauf der Flüße zu Fahrwassern und Hafenanlagen ausgebaut wurden. Kurz nach 1900 brachen die Bestände zusammen. Ab etwa 1950 waren sie in der Deutschen Bucht ganz ausgerottet, und heute gibt es nur noch einen einzigen Restbestand in der Gironde in Südwestfrankreich. In allerjüngster Zeit versucht man, nun auch den Stör wieder hier anzusiedeln. Ob er aber bei uns angesichts immer weiter gehender Flußvertiefungen und Ausbauten überhaupt Laichgründe finden kann, bleibt abzuwarten. Hoffen wir das Beste!
Der Nordseeschnäpel (Coregonus oxyrrhynchus), immerhin der einzige in der Nordsee endemische, das heißt: ausschließlich hier vorkommende Fisch, ist einer dieser Arten, die zum Laichen in unsere Flüße zog. Ihm blieb zum Laichen schließlich nur die Vibe, ein kleiner Fluß im südwestlichen Dänemark. Mit Hilfe künstlich aufgezogener Brut wird jetzt versucht, sein kollabiertes Verbreitungsgebiet wieder auszudehnen.