Bewegen wir uns von den Salzwiesen aus Schlick- und Andelgras weiter landeinwärts, verlassen wir den Bereich, über den zuverlässige Aussagen möglich sind. Der gesamte innere, zum Wattenmeer gehörende Naturraum wurde durch Eindeichung und Urbarmachung zerstört. Im verbliebenen Vorland der Deiche wurde überall intensivste Viehweide eingeführt. Macht man sich unter solchen Umständen Gedanken über die ursprüngliche Naturlandschaft, ist man zu einem erheblichen Teil auf Vermutungen angewiesen. Der mutmaßlich natürliche Übergang von den Salzwiesen zum festem Land könnte wie folgt ausgesehen haben:
Sicher ist, daß die Portulakkeilmelde (Halimione portulacoides, oben) die Salzwiesen bereits in den höher liegenden, aber noch von der Flut beeinflußten Zonen mit eigenen, buschigen Beständen ersetzt hat, wie es ein Bild aus der Normandie zeigt (rechts). Da die Keilmelde die schweren Beschädigungen durch Viehbeweidung nicht aushält, ist sie heute weitgehend verschwunden. Nur an den weichen Prielkanten, denen sich das Vieh nicht so häufig nähert, findet man sie regelmäßig.
Man nimmt an, daß oberhalb der Keilmeldengestrüppe wieder Wiesen wuchsen (links, auch ein Beispiel aus der Normandie), und zwar mit vorherrschendem Küstenrotschwingel (Festuca litoralis, unten), den wir schon von den Düneninseln kennen. Er wird hier von einer salzfesten Form der Ackergänsedistel (Sonchus arvensis, unten links) und einigen Arten aus den Salzwiesen begleitet. Wenn man noch höher geht, bleibt der Rotschwingel zwar präsent, hat aber nur noch untergeordnete Bedeutung, da mehr und mehr Hochstauden dazu kommen und schließlich die Vegetation beherrschen.
Auch wenn sie wohl nur noch bei extremen Sturmfluten überschwemmt wurden, standen die Hochstaudenfluren sicher auch noch unter einem gewissen Salzeinfluß, entweder durch Gischtflug oder durch salziges Grundwasser. Sie müssen nicht unbedingt Pflanzengesellschaften entsprochen haben, die wir heute noch anderenorts antreffen. Es dürften damals einige der Arten, die heute als Unkräuter weit verbreitet und insbesondere auf Industrieödland bedeutsam sind, hier ihre Naturstandorte gehabt haben. Gute Kandidaten für solche küstennahen Hochstaudenbestände sind der Gewöhnliche Beifuß (Artemisia vulgaris, oben links) und die Ackerkratzdistel (Cirsium arvense, oben mittig), die beide auch heute in hochliegendem Vorland vorkommen; außerdem der Strandampfer (Rumex maritimus, oben rechts), der trotz seines Namens auch im Binnenland häufig ist; schließlich die Zaunwinde (Calystegia sepium, rechts), der Wasserdost (Eupatorium cannabinum, unten links) und der Gefleckte Schierling (Conium maculatum, unten rechts), die alle über eine leichte Salztoleranz verfügen.
Noch spekulativer wird es, wenn man sich fragt, wie wohl die maritime Waldgrenze in den Seemarschen der südlichen und östlichen Nordseeküste ausgesehen haben mag, da nicht ein einziges Beispiel die Landgewinnung überstanden hat. Fossile und archäologische Funde sowie die Selbstaussaat in Windschutzgehölzen um die Marschhöfe herum lassen vermuten, daß vor allem die Stieleiche (Quercus robur) vorkam, außerdem die Esche (Fraxinus excelsior, links und oben links) und die Feldulme (Ulmus minor, oben), die in der Lage ist, auf nassen Böden Brettwurzeln auszubilden (unten), um ihre Standfestigkeit zu erhöhen.
An Sträuchern und Kleinbäumen dürften Schwarzer Holunder (Sambucus nigra, oben rechts) und Zweigriffeliger Weißdorn (Crataegus laevigata, oben) wichtig gewesen sein. Erstaunlich nah am Meeresufer findet man auch immer wieder die Waldrebe (Clematis vitalba, rechts und unten), so daß es möglich erscheint, daß diese Liane auch die ehemaligen Küstenwälder durchzogen hat.