Es zeigte sich, daß diese Matten an ihren Rändern den Wasserstrom verwirbeln und damit auf den unbewachsenen Flächen eine starke Abtragung verursachten, die nicht immer durch den Schlickfang in den Matten ausgeglichen wird. Anders auf reinem Schlickwatt. Hier schließt sich das Schlickgras zu dichten Beständen, und von Andelgras und Queller bleibt wenig übrig (unten links). Queller tritt hier noch als Pionierpflanze, die bald verschwindet, auf (unten rechts), während das Andelgras sich als beigemischte Art zwischen dem Schlickgras hält. So werden die beiden Arten wenigstens nicht bis zum Aussterben verdrängt.
Das beschriebene Gefüge von Schlickwatten, Salzwiesen und Seegraswiesen wurde in den1930er Jahren nicht nur durch das Seegrassterben für immer verändert. Den Küstenschutzämtern verdanken wir das Schlickgras. Das Schlickgras ist eine neue Art, die aus einem Bastard hervorgegangen ist. Eine Elternart (Spartina maritima) stammt aus Südafrika und wurde schon im 16. Jahrhundert durch den Seeverkehr an die europäische Atlantikküste verschleppt, wo es sich rasch ausbreitete und tiefliegende, ganzjährige Wiesen bildete. In diesen Wiesen findet eine starke Aufhöhung statt, ohne daß das angelandete Material im Winter schutzlos bleibt, wie es beim Queller der Fall ist. Insofern bestand bei den Küstenschutzämtern großes Interesse an der Pflanze, die aber in der Deutschen Bucht nicht ausreichend winterhart war. Um 1816 erschien bei Southampton die zweite Elternart (Spartina alterniflora) von der Ostküste Nordamerikas, wohl wieder im Ballast eines Schiffes verschleppt. Die beiden Arten vermischten sich unverzüglich, und es entstand ein Bastard (Spartina x townsendtii), der zwar steril, aber außerordentlich wuchskräftig war. Insbesondere wies er die nötige Winterhärte auf, und so wurde er ab 1924 in den Niederlanden und ab 1927 in Schleswig-Holstein angepflanzt. Irgendwann wurden die Pflanzen durch Verdoppelung ihrer Erbanlagen - Pflanzen können so etwas - fruchtbar, begannen sich mit erbfesten Nachkommen zu vermehren und waren damit zu einer neuen Art geworden (Spartina anglica, links).
Fortan war das Schlickgras nicht mehr aufzuhalten. Es bildete aber an der südlichen und östlichen Nordseeküste keineswegs wie an der Atlantikküste eine eigene, tief liegende Vegetationszone, sondern drängte in die Queller- und Andelgrasfluren. Auch die Hoffnung auf verstärkte Anlandung war trügerisch. Zwar findet in den Beständen tatsächlich eine stärkere Aufhöhung als in Andelgras- oder Quellerfluren statt, doch wächst das Schlickgras vor allem auf Sand- und Mischwatten nicht wiesenweise, sondern bildet isolierte Matten begrenzter Ausdehnung (rechts).
Ein wesentlich dramatischeres Problem für den Queller - und nicht nur für ihn - ist das ungebremste Wachstum der Grünalgen. Nährstoffzufuhr aus landwirtschaftlichen Düngern, die zum Teil abgespült werden und über die Flüsse das Meer erreichen, sowie aus Abgasen von Industrie und Autoverkehr, die sich auf dem Meer niederschlagen, führen zu einer so hohen Nährstoffzufuhr, daß sich überall im Watt Filze aus fädigen Grünalgen bilden. Sie verstopfen die Gänge der im Watt eingegraben lebenden Tiere, bis sie an Hunger sterben.
Das Schlimmste kommt aber erst noch: Schlickböden weisen aufgrund ihrer vorwiegend organischen Bestandteile ohnehin eine hohe Aktivität von Bakterien auf, die die organischen Stoffe verarbeiten und dabei den Sauerstoff im Boden aufzehren. Deshalb ist der Schlick in wenigen Zentimetern Tiefe sauerstofffrei, pechschwarz und stinkt nach Schwefelwasserstoff (faule Eier!). Wenn die Algenmatten abzusterben beginnen, steigt die sauerstofffreie Zone an die Oberfläche, wie man an den schwarzen Flecken sehen kann. Alles, was bis jetzt noch überlebt hat, erstickt.
Dazu kommen größere, flächig wachsende Grünalgenarten wie der Meersalat (Ulva lactuca) und mehrere Darmtangarten (Enteromorpha sp.). Sie brauchen eine feste Unterlage, um sich anheften zu können. Unter natürlichen Bedingungen würden sie daher im Wattenmeer kaum irgendwo anders als auf den Muschelbänken wachsen können. Heute ist es so, daß das Wattenmeer voller Hartstrukturen in Form von Bojen und anderen Seezeichen, Buhnen, Pieranlagen, Lahnungen und so weiter ist, so daß die Grünalgen zahlreiche Wuchsmöglichkeiten finden.
Durch die hohe Nährstoffbelastung des Wassers wachsen sie so üppig, daß sie bald so große Lappen bilden, daß sie in der Wellenbewegung zerreißen. Sie können dann durchaus weiterleben, werden aber verdriftet und über die Priele bis in die Salzwiesenzone gespült (oben) oder verfangen sich im Queller (links). Der Effekt ist nicht viel anders als bei den Fadenalgen: Unter den abgelagerten Algen erstickt das übrige Leben.
Weiter verschärft wird das Problem dadurch, daß solche Grünalgen (hier Enteromorpha intestinalis), die bei Ebbe irgendwo auf den offenen Watten liegen bleiben, vom Pierwurm oder anderen bodenfressenden Würmern in ihre Saugtrichter gezogen werden. Die Würmer können in den jetzt verstopften Gängen kein Futter mehr gewinnen; die Algen aber sind nun bestens verankert und können ungehindert weiterwachsen - bis sie erneut zu groß geworden sind und abreißen. Dann werden auch sie schließlich in dicken Lagen angespült (unten).
Letzten Endes gibt es aber auch hier ein paar Profiteure, und das sind die Spülsaumpflanzen. Extrem stickstoffhungrige Pflanzen gibt es auch auf dem Schlick; es ist aber ein völlig anderes Sortiment an Arten als an den Spülsäumen der Sandinseln. Hier finden wir das Große Löffelkraut (Cochlearia officinalis, unten links) und verschiedene Meldenarten (3 Bilder rechts).
Spießmelde (Atriplex hastata)
Strandmelde (Atriplex littoralis)
Kahle Melde (Atriplex glabiuscula)